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"Restless: nothing stays the same"

"Der moderne Begriff der Kultur entspringt dem öffentlichen Zugang zu den Zeichen historisch-politischer Identität und ihrer kollektiven Entzifferung." Jean-Francois Lyotard: Das Inhumane - Plaudereien über die Zeit

"Restless: nothing stays the same" ("Ruhelos: Nichts bleibt, wie es ist") ist der Titel, unter dem ich eine Reihe meiner jüngsten Arbeiten präsentiere. Durch den Gebrauch gefundener Bilder und Objekte sowie meines eigenen persönlichen Archivs originaler Fotografien untersucht dieses Projekt die Frage nach der Repräsentation in der Postmoderne und basiert auf der historischen und sozio-politischen Natur von gedruckten Bildern sowie dem Einfluss, den sie haben. Meine Arbeit beruht auf Ideen wie das Sublime, Spur, Erinnerung, Wiederholung, kollabierende Zeit, denen sich Philosophen wie Lyotard, Barthes und Benjamin angenähert haben. In meinen Recherchen bin ich der Frage nachgegangen, wie diese Konzepte in unserer Zeit gegenwärtig sind und wie sie die Art und Weise beeinflussen, in der Geschichte und besonders Kunstgeschichte geschrieben wird.

Der Ausgangspunkt der Serie "Eden", 2011, die aus Collagen/Siebdrucken besteht, ist ein Naturgeschichte-Buch über die afrikanische Wildnis, das in den 1950er Jahren publiziert worden ist. Der Autor hat jeglichen bildlichen Verweis auf Menschen ausgeklammert und zeigt ausschließlich die Flora und Fauna, die ultimative Wildnis. Das Buch weist starke Bezüge zu einem Thema auf, auf das ich schon lange den Fokus meiner Forschungen gelegt habe: die politische Natur der Landschaft und das Sublime, zu sehen etwa in frühen Drucken, Zeichnungen und Aquarellen, die von europäischen Naturforschern während ihrer Expeditionen nach Süd-Amerika und Afrika im 17. und 18. Jahrhundert gefertigt wurden. "Eden" ist eine Antwort auf diese Vorstellung von Wildnis ohne menschliche Spur, indem ich Bilder schaffe, die zugleich real und surreal sind.

In "Tempo", einer fortlaufenden Serie, die auf den Mechanismen gedruckter Reproduktion beruht, verwende ich gefundene Objekte aus dem Bereich der Drucktechnik. Die Bilder, die Druckelementen wie einem Lithographie-Stein bis hin zu einer Offset-Druck-Gummi-Matte buchstäblich entnommen wurden, sind bearbeitet, bemalt, fotografiert und dann digital auf hochwertiges Papier gedruckt worden. Der besonders anrührende und sensible Eindruck, der dadurch entsteht, entfaltet sich in einer Art Crash-Kurs über verdichtete Zeit. Sie wird von der Bildoberfläche eingefangen, die selbst das Ergebnis einer Schichtung ist, indem sie über längere Zeit entstanden ist, von mir weiter manipuliert wurde und letztlich durch einen klaren und unverfälschten fotografischen Prozess repräsentiert wird. Die vielen Schichten visueller Erinnerung, kunsthistorischer Assoziationen und multipler Manifestationen bilden den Rückstand, der dadurch entstanden ist, dass Reproduktionen künstlerischer Bilder massenhaft zirkulierten. Die Arbeit lädt uns nahezu ein, unsere gespeicherten mentalen Bilder in hoher Geschwindigkeit zurückzuspulen, bei bestimmten Einstellungen zu stoppen und dann wieder vorzuspulen. Diesen Oberflächen ist etwas zugleich Cinematografisches, Fotografisches und Malerisches zu Eigen, sie sind gleichsam berührt von Licht, Farbe und Bewegung.

Der Rand des Objektes, des Stoffs oder des Steins ist mit einem so hohen Grad an Echtheit gescannt, dass er seinen eigenen Rahmen erstellt. Der tatsächliche Rand von etwas, das real, dreidimensional, mit Befestigungen und Löchern erscheint, erzeugt eine merkwürdige und doch anziehende visuelle Erfahrung, in welcher der Glaube an diffuse Illusion gelegentlich mit einem scharfen Fokus zusammen fällt, einer anderen Schicht, einer anderen Ebene. Im Detail zeigen die Werke, die nur von matter Farbigkeit sind, mit Markierungen, Nummern, Motiven oder Spuren von jahrelangen Arbeitsprozessen die mechanischen Mittel der Produktion, welche in die Natur des Dings an sich übergehen. Damit reflektiere ich darüber, wie es möglich ist, ein Medium [im Prozess der Wahrnehmung] zugleich zu sehen, ihm zu glauben und es zu verstehen. Die Bilder sind klar, scharf und äußerst sorgfältig bearbeitet, und doch besitzt das Ergebnis eine enge Verwandtschaft zu den Repräsentationen undeutlicher Landschaften, bewegter See oder frühen Fotografien des Weltraums. Zeit, die wie eine Filmrolle durch einen defekten Projektor läuft, hat sich sprunghaft fortbewegt, sich zeitweise aufgestaut und ist fast zum Anhalten gekommen. Eines Tages wird sie stoppen, auf ewig eingefroren in einer Einstellung.  - J. G. Ballard, "Memories of the space age"

Nelson Crespo 2011
Übersetzung: Susanne Buckesfeld